Donnerstag, 21. Januar 2010

Sandkastenspiele

In der Ergotherapie beschäftige ich mich noch immer mit der Alte-Damen-Kunst Seidenmalerei. Dort besteht meine Welt vorwiegend aus beruhigenden Quadraten. Die zwei Kissen, die illustrieren, was passiert, wenn Pacman in ein Tetris-Spiel gerät sind nun fertig. Als nächstes ist ein Schal dran, der aus einer Variation eines 7-cm-Rasters besteht, ausgeführt in zartem Lachsrosa und Silbergrau.
Ich habe Computerkunst immer gemocht. Plotterzeichnungen aus den 60ern, die die Schönheit der Fraktalen ausdrückten. Leider sind die meisten dieser Bilder für mich unerschwinglich.
In der Maltherapie dagegen, wo es mir immer mehr gelingt, den Kopf auszuschalten und das Unbewußte sprechen zu lassen, malte ich konzentrische Kreise. Zunächst glühend und intensiv Rot, Orange und Gelb, darüber aber unruhige Wisch- und Mischvariationen davon, später noch eine isolierte schwarz-weiß-Variante desselben Musters in irgendeiner Ecke de Papierformats.

Edit: Ich habe den Titel geändert. Mit einem Mitglied meiner kleinen Allianz, das sich schon seit geraumer Zeit wieder draußen durchschlägt, korrespondiere ich in Form von sms-Funksprüchen: +++erde an mars+++ +++mars an erde+++
und dann fiel mir Ray Bradbury ein.

Montag, 18. Januar 2010

Fourage

Heute gibt es Milchreis, sagten mir die freundlichen Küchendamen. Sie werden mir einen extra großen Teller hinstellen. Den brauche ich wohl heute auch...

Samstag, 16. Januar 2010

Bei Neumond schweigen die Eulen

oder sie sind zu einem Wochenendausflug unterwegs.
Die letzte Nacht war anstrengend. Schon wieder diese Mischung aus Müdigkeit und Nervosität. Immer wenn ich kurz vor dem Einschlafen war, zuckte mein rechter Fuß oder meine Blase war der Meinung, wir sollten unbedingt noch mal aufstehen. Als dann noch diverse Gedankenräder anfingen, sich in Bewegung zu setzen und endlos unter leisem Quietschen wiederholten: Was wird passieren? Was darfst du? Was sollst du? und als zu guterletzt ein kleiner, aber sehr reizbarer Drache in meinem Magen zu randalieren begann, ungeniert Feuer spuckte und mit seinem Stachelschwanz peitschte, reichte es mir.
"Schnauze! Wenn ich will, dann tu ich. Von dürfen und sollen ist hier nicht die Rede.", sagte ich stumm, aber vernehmlich zu meinem Fuß, den Gedankenrädern und dem Drachen und stand auf. Eine Schlaftablette und einen Kamillentee später war dann auch endlich Ruhe.

Ansonsten denke ich darüber nach, ob ein Gürteltier besser mit einem scheuen Rehbock, der vielleicht mal ein Einhorn war, spielen sollte oder mit mit einer klugen, coolen Schildkröte. Aber das muß das Gürteltier selbst entscheiden, auch auf die Gefahr hin, daß dann keiner mehr mit ihm spielen will.

Freitag, 15. Januar 2010

Zurückgeblieben

Das wirkliche Alter mancher hier eingelieferten Patienten läßt sich nur erfragen. Mir passiert es immer wieder, daß ich auf Schätzungen gut zehn oder fünfzehn Jahre drauflegen kann. Was zunächst als Kompliment erscheint und von den Betreffenden sicher auch goutiert wird, ist für die Branche, in deren Hände wir uns hier begeben haben, nur eine Malaise: Mangel an (altersangemessener) Reife.
Der promovierte Jurist von Ende 30 mit dem Erstsemesterhabitus, der sich windet und mit Augenaufschlägen und Blicken von unten charmantes Söhnchen spielt, als er von den Ärzten aufgefordert wird, sich dem hiesigen Tagesablauf anzupassen.
Die Mathematikerin von Ende 20, die sich den Körper einer 12jährigen erhungert hat.
Der 20jährige Abiturient, der von abendlichen Spielrunden aufgekratzt ist wie ein Fünfjähriger und vor Aufregung nicht schlafen kann.
Die altersmäßig undefinierbare knochig-dürre, völlig gehemmte Anfangdreißgerin, die gerade fertig ist mit dem Psychologiestudium und noch immer von einer Sängerinnenkarriere träumt.
Die Mittdreißgerin, die noch immer das dicke Kind ist, das sich von seiner Mutter terrorisieren läßt.
Die Siebzigjährige, die noch immer ihr Kleinmädchenschnütchen zieht, kokette Trippelschrittchen macht und die großen Jungs anhimmelt.
Hier sammelt sich der Ausschuß des Jugendwahns. Diejenigen, die sich weder äußerlich noch innerlich an ihre Lebensanforderungen anpassen können. Ich bin mir nicht sicher, ob es diese ominöse "Nachreifung" tatsächlich gibt.

Mit Schlag Freitag drei Uhr ging es mir blendend. Auf das es mir Montag wieder mies geht... Meine mentalen Einbrüche in dieser Woche haben die Ärzte mehr beunruhigt als mich. Ständig fragen mich die Schwestern nach meinem Befinden, schauen nach, ob es mir gut geht, was ich lese, ob mir etwas weh tut oder ob ich schon wieder schlafe. Eine weitere Woche Verlängerung steht zur Debatte, dann wäre ich bei 10 Wochen angekommen. - Wenn es mir tatsächlich etwas nutzt, werde ich mich dem fügen und weiterhin mein Belastungstraining zur Rückkehr steigern.
Ich bin froh darüber, daß die schriftstellerische Abteilung meines Kopfes unauffällig und zuverlässig die Arbeit wieder aufgenommen hat. Das analytische und strategische Denken ist noch etwas ängstlich, da haut mir noch immer ein Zittern, Zagen und Beben aus dem Inneren dazwischen, wenn ich die Gedanken fliegen lassen will. Die Abteilung Tagesgeschäft ist stoisch bis resigniert. Manchmal kommentiert sie: "Na geht doch!" Manchmal mault sie etwas von: "Schon wieder die alte Scheiße!"
Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

Donnerstag, 14. Januar 2010

Die heilige Dreieinigkeit

Malochen - Ficken - Saufen, das war der Lebensinhalt der hier eingelieferten älteren Männer. Das Malochen endet entweder mit dem Erreichen des Rentenalters oder der Entlassung aus einer auf Jung, Schonungslos und Übermotiviert orientierten Arbeitsumgebung. Die beiden anderen verabschieden sich wenig später. Entweder spricht der Arzt ein Machtwort und dreht den Rotweinhahn zu oder der Preis, der für frisches und liebeswilliges weibliches Fleisch zu zahlen ist, steigt in schwindelerregende Höhe. Wenn die Lebenselexiere fort sind, ist der Mann am Ende und will sich umbringen. Das klingt hart und brutal, ist aber die Konsequenz eines Lebens, das genauso hart und brutal gelebt wurde.
O-Ton eines 75jährigen pensionierten Arztes (Typ fetter, widerlicher alter Sack), der sich in der Klinik mit Clubjackett und Schlips von den ihn - wie er meint - umgebenden Alkohol-, Sex- und Drogensüchtigen abheben will:
"Diese Emanzipation ist idiotisch. Das sind doch keine Frauen mehr. Frauen sind nicht mehr das, was sie mal waren. Das hat mit dieser Koedukation zu tun. Die Mädchen proletarisieren, wenn sie mit Jungen zur Schule gehen. Früher hat man sie auf die Sekundarschule gehen lassen und dann sind sie zur Letteschule gegangen und haben Haushalt gelernt. Die Frauen heute können alle nicht mehr kochen und die Kinder verkommen auch, wenn sie arbeiten gehen."
Keiner dieser Sätze ist ausgedacht. Ich bin unter Mitnahme meines Abendbrots fast vom Stuhl gefallen, aber eine Diskussion wäre sinnlos gewesen. Er ist genug gestraft. Die 24jährige sehr trinkfreudige Ukrainerin, mit der er zusammenlebt, für deren Lebenshaltung und Studium er aufkommt, geht immer öfter zu einem Kommilitonen zum "Lernen" und vernachlässigt den Haushalt. Heute bedauert er zutiefst, daß seine Drohung, sich umzubringen, von seiner Umgebung ernst genommen wurde und er schnurstracks in der Klapse landete.

Ich bin heute und gestern nach Hause gefahren, um am Schreibtisch zu sitzen und langsam mit der Arbeit zu beginnen. Gestern hörte ich mir einen halbstündigen, heute einen dreiviertelstündigen und einen zwanzigminütigen telefonischen Monolog eines Klienten an. Grundtenor: es muß was passieren, tu etwas für mich, ich brauche Geld, die Marktlage interessiert mich nicht. Solche Gespräche strengen mich noch immer (oder immer mehr) an. Aber ich habe wenigstens von den Ärzten aus der Klinik gelernt, daß ich die Leute reden lassen kann. Sie intonieren ihr Thema mit Variationen und ich bekräftige oder beruhige. Den einen oder anderen Satz nehme ich zum einhaken, um die Selbstverantwortung, die Eigeninitiative, die Selbsteinschätzung und/oder das Selbstvertrauen meines Gegenübers zu stärken und ich mache mir zwei, drei Notzen, weil ich eine Idee bekommen habe, wie ich weiter verfahre. Denn ich bin nicht schuld, daß mein Gegenüber noch nicht in Hollywood sitzt und auch dieses Jahr darauf verzichten muß, einen Porsche zu ordern.
Abends und nachts reißt es mich des öfteren. Kanonenschlagartige Selbsterkenntnisse, die nicht aufschreibbar, sondern nur lebbar sind. Packen wirs an.

Montag, 11. Januar 2010

Donnerschlag

Im Grunde neige ich selten zu Identifikation. Trotzdem fand ich mich dieser Tage in einer Schilderung von Karen Horney wieder. Das war nicht angenehm. Das Thema war mir nicht neu, aber so minutiös geschildert zu bekommen, was passiert, wenn sich zwei Menschen mit ihrer jeweiligen inneren Disposition aufeinander einlassen, wirkt entblößend.
Langsam beginne ich wieder mit dem Countdown. Noch knapp drei Wochen bleiben mir, um meinen Rückkehrzeitplan umzusetzen. Rausgehen und normalen Alttag zu Hause erleben, das habe ich dieses Wochenende schon hinter mich gebracht. Von den 11 Stunden habe ich drei geschlafen und am Abend bin ich zusätzlich todmüde ins Bett gefallen. Der Reiz, wieder mit meinen alten Tätigkeiten zu beginnen, mich an den Schreibtisch zu setzen und stundenlang im Netz zu surfen, war groß.
Mir fiel auf, wie stark mir eine Tagesstruktur fehlt und wie wenig diese Wohnung mit mir zu tun hat. Außer dem Schreibtisch gehört mir dort nichts. Aber das wird sich bald ändern, wenn ich die kleine Wohnung vom Kind überlassen bekomme. - Aber seitab vom Lamento: auf dem Balkon bildete sich eine halbmeterhohe Schneewehe, der Bambus war weiß, es sah wunderschön aus.

Samstag, 9. Januar 2010

Im System

Mir fiel sehr früh auf, das mancher Patient hier zu Unrecht allein seine Krankheit kuriert. Hinter ihnen stehen Mütter, deren oft nur kurz und schlaglichtartig beobachtetes Verhalten fragen läßt: "Und warum ist er/sie nicht auch hier?"
Bipolare Mutter mit Alkoholsucht - Borderliner-Sohn mit Drogenproblem
Depressive Mutter - schizophrener Sohn
Depressive Großmutter - depressive Mutter mit Spielsucht - depressive Tochter mit Eßstörung
Zwangsgestörte Mutter - Depressiver Sohn
Es ist nicht repräsentativ, was ich sehe, aber mir scheint, daß die Mütter, vor allem durch die vor den noch kleinen Kindern ausgelebte Krankheit und durch späteres Unvermögen, loslassen zu können, mehr Einfluß auf die seelische Gesundheit ihrer Kinder haben, als es womöglich die Gene sind. Von den Vätern ist hier nie die Rede, wenn es um die Krankheit geht. In den Gesprächen tauchen auch keine Trinker, Prügler und Vergewaltiger auf. Sie sind schlichtweg nicht da, haben ständig gearbeitet, sind früh gestorben oder haben sich abgesetzt.
Systemische Therapie mag teuer sein, kann aber in vielen Fällen das Problem überhaupt erst lösen. Denn das Familiensystem pendelt gern wieder in den Status Quo zurück. Ist die Mutter mit Depressionen in der Klinik, besucht der Sohn sie täglich und es geht ihm gut. Ist die Mutter wieder gesund und kann wieder für ihren (Ende 30jährigen) Sohn sorgen, hat er den nächsten schizophrenen Schub.

Es erschreckt mich, daß viele hier nicht zum ersten Mal in einer psychiatrischen Klinik sind. Die Zahl der Widergänger ist groß. Ob dies auch außerhalb der komfortablen Privatstation so ist, kann ich nicht einschätzen, aber einige scheinen den Aufenthalt hier zu genießen. Das Essen ist hervorragend, es ist immer jemand für ein Gespräch da, Profis sind für Beschäftigung mit dem Ego bereit, für Unterhaltung und Beschäftigung ist gesorgt und der Betroffene spart sogar noch Geld. Eine der Frauen mit Einzelzimmeranspruch erzählte, daß sie über Jahre regelmäßig im Februar erkrankt wäre und sich mehrere Monate gesundpflegen ließ. Im letzten Jahr folgte dann ein achtmonatiger Aufenthalt, diesmal ist sie nur vier Wochen hier, um anschließend für zwei Monate in eine Tagesklinik zu wechseln. Auf die Frage hin, wie sie das mit ihren beruflichen Verpflichtungen vereinbaren könnte, meinte sie, sie mache im Moment ohnehin garnichts. Sie sei Künstlerin, aber derzeit ohne erfolgversprechendes Projekt.

Mich hingegen beschäftigt die Rückkehr in mein System. Die ganze Woche über sah ich mich vor einem bedrohlichen Dickicht stehen. Nun ist mit Hilfe des Arztes ein Weg gefunden. Ich werde ab Ende Januar langsam, über Wochen hinweg meine Arbeitszeit steigern.
Noch immer komme ich schnell in Rage, Angst und Hektik, wenn etwas nicht funktioniert und mein Schlafbedürfnis ist unglaublich. Unter 8 Stunden Nachtschlaf und 2 Stunden Mittagsschlaf bin ich kein Mensch. An anstrengenden Tagen kann es mehr sein.

Montag, 4. Januar 2010

Ins Weisse

Gestern gab es dann eine Reise in eine unwirkliche Winterwelt. Kloster Chorin. - Noch mehr Caspar David Friedrich. 30 Kilometer hinter Berlin lag Nebel über der Landschaft und bedeckte alles, Bäume, Gras, selbst Spinnweben mit Raureif. Manchmal waberte eine riesige, fahle Sonne durch die Nebel.
Wir fuhren über Feldwege, begrenzt von Schlehenhecken. Der Gefährte spielte "mein Geländewagen, mein Vierradantrieb, meine Winterreifen" und freute sich wie ein Kind. Ich saß daneben und dachte an die Jahre, in denen ich mich allein ins Auto setzte und einfach wegfuhr, über Landstraßen, mich mit dem unförmigen Gefährt durch Hohlwege zwängte und irgendwann an Seeufern oder Steilhängen landete. Was hätte ich darum gegeben, so etwas einmal im Winter zu tun.
Das Kloster selbst, Anlaß der kleinen Reise, enttäuschte mich. Ich war zuletzt als 11jährige dort. Mittlerweile gibt es repräsentative Eingangstüren und einen Eintrittskassierer, einen peinlichen Museumsshop und eine wirre, unsortierte Auslassungen zu verschiedenen Themen an den Wänden ("Das Veilchen im Mittelalter"). Die Ruinen der Kreuzgänge und der schwindelerregend hohen, schmale Kirche sind mittlerweile überdacht, weil sie als Konzertsaal dienen. Jeglicher Zauber dieses verlassenen Gottesortes, in den der Himmel von oben hereinbricht, ist fort. Schade.

Dieser Montag beunruhigt mich. Einer der Gründe, weshalb ich diese Klinik aufgesucht hatte, war mein Unvermögen, über die administrative Arbeit hinaus meinen Dienst zu leisten. Der erste Anruf mit Betreuungsbedarf kam heute um 10 Uhr 30. Ich merke ganz klar, daß der Jahreswechsel für mich den Abschied von bestimmten Aspekten meines Berufes mit sich brachte. Ich kann und will nicht mehr Mutter und Betreuerin spielen.

Zauber-Berg

Die Mars-Chroniken

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